Dienstag, 20. Dezember 2011

Lycia


Lycia ballte die Hand zu einer Faust, so stark, dass ihr die Fingernägel ins Fleisch schnitten. Sie wusste selbst nicht mehr was sie erwartete. Verständnis? Liebe? Vertrauen?
Er hatte sich einen Weg an all den Mauern vorbei in ihr Herz gefunden und sich so tief darin verankert, dass sie ihn wahrscheinlich auch mit grossem Willen niemals wieder herausdrängen konnte. Er hatte sich zu etwas alltäglichem gemacht, dem Fels der vor ihr stand und die Wellen abfing. Am sehnlichsten wünschte sie sich in diesem Moment wohl seine Anwesenheit, dass er neben ihr lag, ihr Küsse auf den Haaransatz drückte und ihr sagte, wie sehr er sie liebte.
Aber er war nicht da. Er hatte viel zu tun, mit der Arbeit, seinen Freunden, der Familie. Und sie selbst fühlte sich immer kleiner, verlorener, unbedeutender. Er allein konnte nicht die Welt verändern, so naiv war sie schon lange nicht mehr. Aber er konnte sie ein kleines bisschen verbessern.
Lycia sog scharf Luft ein als eine erneute Tränenflut sie zu ersticken drohte. Sie war doch schon gross, schon stark. Sie hatte gelernt dass nicht immer alles gut war, aber manchmal tat die Einsicht zu sehr weh, dass es schlechtes gab. Manchmal hätte sie sich am liebsten in ihrem Bett neben ihrer Mutter verkrochen und so lange geweint bis sie so ausgelaugt und so müde war, dass sie traumlos einschlief.
Lycia dämmerte es allmählich, dass diese Sache mit Casey ernst war. Dass er vielleicht genau der Mensch war, der sie ergänzte und das erhöhte den Druck. Den Druck nichts falsch zu machen, richtig zu handeln, ihn so zu akzeptieren wie er war, mit jeder Ecke und jeder Kante, egal wie scharf sie ihr ins Fleisch schnitt. Aber mittlerweile blutete sie aus so vielen kleinen Wunden, dass der Schmerz überhand gewann und sie wünschte sich, mehr als alles andere, dass er derjenige war, der auf jeden dieser Kratzer ein Hello-Kitty-Pflaster klebte. Weil er wusste wer sie war und weil er, da war sie sich ganz sicher, weil er sie liebte.